Kriegskinder erzählen
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Foto: Frederike HelwigWolf-Dieter Glatzel - geboren 1941 in BerlinAls die Russen kommen, kriecht unser Mädchen Lisbeth in die Kiste mit den Hitler-Bildern, alle Glasscheiben zerklirren. Meine Mutter setzt sich mit uns Kindern in den Buddelkasten, weil sie denkt, dass ihr dann nichts passiert. Als ein Soldat aus dem Keller herauskommt, fasse ich seine Hosenbeine und rufe ›Du verdammter Russe, lass meine Lisbeth zufrieden!‹ Er tut mir nichts. In der Villa gegenüber hören wir einen Riesenkrach, sodass meine resolute Großmutter hinübergeht. Dort liegen die Mutter und Tochter, nackt, vergewaltigt und mit durchgeschnittenen Kehlen auf dem Bett. Meine Großmutter brüllt die betrunkenen Russen an, bis sie abziehen. Meine Mutter, sie ist Ärztin, stellt den Tod der beiden Frauen fest und verbuddelt sie im Garten.
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Kriegskinder erzählen
Diejenigen, die Ende der 1930er-, Anfang der 1940er-Jahre geboren wurden und während des Zweiten Weltkriegs aufwuchsen, sind heute in ihrem achten Lebensjahrzehnt. Die "Kriegskinder" schauen zurück, sprechen teilweise zum ersten Mal darüber, was sie geprägt hat: Bomben, Flucht, Angst, Hunger, Krankheit, Tod, verschwundene Väter, überforderte Mütter, aber auch die Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit – Erinnerungen an den Krieg und dessen generationsübergreifende Folgen sollten vergessen werden.