Glocken für die Demokratie

Reinoldikirche vor Abendhimmel

Foto: Heiko Kuschel 2016

Reinoldikirche vor Abendhimmel

Glocken für die Demokratie
Glocken helfen in allen Lebenslagen. Heute: Gegen rechtsextreme Kirchenbesetzer.

Lange Zeit waren Kirchenglocken so etwas wie der Taktgeber der Stadt. Überall zu hören, teilten sie den Tag in verschiedene Abschnitte. Zum Mittags – oder Abendläuten legten mancherorts die Menschen kurz die Arbeit nieder, um ein kleines Gebet zu verrichten. War das Mittagsläuten früher eine Aufforderung, für den Sieg der Ungarn über die Osmanen zu beten (1456), so wird es heute stärker als Aufforderung zum Gebet um den Frieden verstanden.

Als Friedensläuten dürfte auch der damalige katholische Dekan in Schweinfurt, Rainer Fries, seine Aktion im Jahr 2013 verstanden haben: Während einer Demonstration der NPD auf dem nahe gelegenen Schillerplatz ließ er eine Viertelstunde die Glocken der Heilig-Geist-Kirche läuten und handelte sich damit eine Anzeige wegen Störung einer genehmigten Demonstration ein. Die Resonanz in Schweinfurt war groß; über 3000 Solidaritäts-Unterschriften kamen zusammen. Das Verfahren wurde später auch eingestellt.

In Worms am 1. Mai 2015 waren dazu gar keine Kirchenglocken nötig: Dort rief das Dekanat die Bürger auf, der NPD "heimzuläuten" und zu diesem Zweck tragbare Glocken mitzubringen – von der Kuhglocke bis zum Weihnachtsglöckchen, Hauptsache, es glockt.

In Dortmund nun war die Situation grundsätzlich eine andere: Dort besetzten acht Rechtsextremisten den Turm der zentralen Reinoldikirche, nachdem sie vorher brav ihre zwei Euro Eintritt bezahlt hatten, versperrten die historische Turmtür hinter sich, hängten ein Transparent an den Turm und zündeten auch noch Pyrotechnik. Gleichzeitig wurden auf der Straße vor der Kirche rechtsextreme Pamphlete verteilt. Die Feuerwehr musste anrücken und die altehrwürdige Türe zerstören, damit die Rechtsextremisten festgenommen werden konnten. Doch was tun, damit der Turm nicht für die Parolen missbraucht werden konnte, die sie von dort oben herunterriefen (was, wenn man sich das so vorstellt, kurioserweise ja irgendwie an das Vorgehen eines Muezzins erinnert)? Sie ahnen es schon: Glocken läuten. Dagegen kamen diese Leute natürlich nicht an. Mancherorts wäre die Lärmentwicklung im Turm vielleicht sogar so groß gewesen, dass die Leute von selbst wieder rausgekommen wären; dazu hat es hier offenbar nicht gereicht. Vielleicht wäre es auch ganz spaßig gewesen, sie einfach auf dem Turm versauern zu lassen und eine Wache zu postieren, bis sie irgendwann von selber herauskommen. Trotzdem: Wie gut, dass wir die Glocken haben. Sie läuten heute für Frieden, Versöhnung und Nächstenliebe. Nur schade um die Tür.

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